Offener Brief an Walter Schmid – Präsident der SKOS

Walter Schmid, Praesident der Schweizerischen Konferenz fuer Sozialhilfe.

Walter Schmid, Präsident SKOS

 

Zum Dreikönigstag erreichte uns folgender offener Briefwechsel zwischen Stephan Wanner und Walter Schmid:

Sehr geehrter Herr Schmid

Zum Jahresanfang möchte ich Sie mit ein paar Gedanken zur Sozialhilfe und generell zur sozialen Gerechtigkeit begrüssen.

Ich bin ein unparteiisch, sozial und verantwortungsbewusst denkender Bürger, der hier aufgewachsen und mit diesem Land kulturell verwurzelt ist. Und ich möchte Ihnen kundtun, dass ich – und nicht nur ich – die Sozialhilfe zunehmend als DAS Schandmal dieser Nation empfinde. Die Sozialhilfe ist nicht nur ein kantonales Flickwerk, sondern auch ein überbürokratisches und ineffizientes Auslaufmodell, dass endlich mal abgeschafft gehört. Immer mehr direkt Betroffene empfinden bzw. erleiden die Sozialhilfe als ein übles Repressionsvehikel, welches die Menschenwürde und die Privatsphäre der Betroffenen mit beiden Füssen tritt. Wer sich wirklich ernsthaft ein Bild der unzumutbaren Zustände machen will, soll die direkt Betroffenen der Sozialhilfe fragen, anstatt sich darauf zu beschränken, von aussen (als Nichtbetroffener) bloss alles schönzureden. Dazu kommt noch die unsägliche Verwandtenunterstützungspflicht (de facto eine Sippenhaft) und eine Rückzahlungspflicht auf 15 Jahre hinaus…

Die in den Medien jüngst publizierte Sozialhilfe-Nichtbezugsquote von 60% (!) spricht Bände und zeigt, wie sehr die allermeisten Betroffenen angewidert sind von der Sozialhilfe.

Herr Schmid, anstatt nun über ein neues Sozialhilfegesetz nachzudenken, sollte die Sozialhilfe endlich mal durch eine Alternative abgelöst werden. Die zeitgemässe und menschenwürdige Alternative ist die Volksinitiative für ein bedingungsloses Grundeinkommen (BGE), wofür gegenwärtig eine Unterschriftensammlung am Laufen ist.

Der Unterschriftensammelstand für die Grundeinkommens-Initiative nähert sich bereits der 60’000er Grenze. Und dies notabene ohne jegliche Unterstützung der grossen Parteien! Noch bleibt viel zu tun, doch die Unterschriftenzahlen schreiten gleichmässig und stetig voran.

Das BGE wird gegenüber der heutigen Situation zu einer wesentlichen Verbesserung führen. Zur Erinnerung: Das BGE wird den leistungsorientierten Arbeitsanreiz nicht abschaffen. Es wird auch unter dem BGE Topverdiener und Reiche geben und das ist gut so.

Aber unter dem BGE wird es endlich keine BürgerInnnen mehr geben, die trotz – oder gerade wegen! – unserer völlig aufgeblähten und heute primär sich selbst alimentierenden Sozialindustrie auf der Strecke bleiben. Ich denke da an Langzeit-Arbeitslose, die durch alle sozialen Netze fallen, oder Sozialhilfeklienten, die auf Sozialämtern geplagt, entmündigt und ihrer menschlichen Würde beraubt werden. Wir reden hier primär von Betroffenen, die in diesem Land aufgewachsen und mit unserer Kultur verbunden sind. Aber sich von allen im Stich gelassen fühlen und sich wie die “Aussätzigen” der Nation vorkommen. Unzählige dieser Betroffenen sind zutiefst gebrochen und verzweifelt, doch sie haben keine Interessenvertreter mehr und wüssten nicht, an wen sie sich wenden könnten. Haben Sie sich schon mal gefragt, was hierdurch bei den Betroffenen für ein Potential an stummem Groll und Staatsverdrossenheit generiert wird?

Gleichzeitig gefällt sich die offizielle Schweiz ja besonders gut, sich nach aussen auf internationalem Parkett ständig als Hort der Menschenrechte und der humanitären Traditionen zu präsentieren. Das passt schlecht zusammen…

Das BGE wird einen glaubwürdigen Beitrag zu mehr sozialer Gerechtigkeit und zu einer solidarischen Gesellschaft schaffen. Die soziale Gerechtigkeit ist keine abgetakelte obsolete Worthülse, sondern von überaus grosser Bedeutung für die Zukunft unserer Nation. Denn wenn die Schwächsten der Gesellschaft zunehmend entrechtet, entmündigt und ihrer menschlichen Würde beraubt werden, so wie es heute zunehmend mit Sozialhilfebedürftigen und auch den IV-RentnerInnen geschieht, dann wird sozialer Zündstoff gelegt und der soziale Frieden in diesem Land massiv gefährdet. Mehr soziale Gerechtigkeit im eigenen Land ist aber unverzichtbar, um als geeinte und solidarische Nation auch in Zukunft erfolgreich bestehen zu können. Und deshalb brauchen wir endlich ein bedingungsloses Grundeinkommen, das den Schwächsten unserer Gesellschaft ein Überleben mit dem Existenzminimum zugesteht, frei von amtlich bewilligter Gängelung, Repression und Bevormundung.

Und deshalb, Herr Schmid, hoffe ich, dass auch Sie sich mutig für einen entsprechenden Systemwechsel weg vom Auslaufmodell Sozialhilfe, hin zum bedingungslosen Grundeinkommen einsetzen. 

Mit freundlichen Grüssen
Stephan Wanner

 

Und die differenzierte Antwort von Herrn Schmid:

Sehr geehrter Herr Wanner

Besten Dank für Ihre sonntäglichen Gedanken zur Sozialhilfe, die ich mit Interesse gelesen habe. Natürlich habe ich mich mit dem BGE auch schon auseinandergesetzt und sehe gewisse Vorteile dieses Systems. Dem stehen aber auch gewichtige Nachteile gegenüber, was eine differenzierte Debatte über ein künftiges System erforderlich macht. In diesem Sinne begrüsse ich es, wenn die Initiative zustande kommt und eine solche politische Debatte ermöglicht. Es wäre allerdings schade, wenn sie hochhaus abgeschmettert würde, denn verschiedene der Probleme, die Sie ansprechen sehe ich auch und sollten nicht mit einem Nein zum BGE ad acta gelegt werden. Etwa die Situation der Langzeitarbeitslosen.

Etwas weniger plakativ beurteile ich die Situation der Sozialhilfeempfänger. Dies nicht zuletzt, nachdem ich kürzlich wieder einmal eine Woche auf einem Sozialdienst gewesen bin und eine grössere Zahl Klienten habe kennen lernen und sprechen können. Es kamen mir nicht alle gegängelt, geknechtet und bevormundet vor. Allerdings trifft es zu, dass die Sozialhilfe in einem sehr sensiblen Bereich tätig ist und deshalb Menschenwürde und Gleichbehandlung besonders im Auge haben muss. Daran arbeiten wir. Nicht zuletzt wir von der SKOS.

Ich bin gespannt, wie der politische Prozess weiter geht. Die Sozialhilfe einfach als repressiv abzuschreiben, halte ich jedoch für verfehlt.

Mit freundlichen Grüssen
Walter Schmid

Prof. Dr. Walter Schmid ist Rechtsanwalt, Direktor der Hochschule Luzern – Soziale Arbeit und Präsident der Schweizerischen Konferenz für Sozialhilfe SKOS.

Comments

  1. Es wird zeit diese Modell umzusetzen. dann haben die Söldner im Dienste des Königs ausgedient. Diese System Profiteure sollen arbeiten gehen. Es gibt genügend Arbeit auf den Baustellen im Gastgewerbe und in der Gesundheitsbranche. Und es würde den Söldner/innen im Staatsdienst gut anstehen sich mit Putzarbeit zu begnügen. Why not… aber aller Voraussicht wünschen sie das nicht, weil sie arbeitsscheu sind. Es ist halt immer noch bequmer hinter dem Schreibtisch Menschen zu schikanieren.

  2. Sehr geehrter Herr Schmid

    Geht es Ihnen wirklich in erster Linie um die Entwicklung und Entfaltung der Sozialhilfe bedürfenden Menschen? Liegen die Ihnen wirklich so sehr am Herzen?

    Seien Sie doch ehrlich, es geht Ihnen doch vielmehr um Erhalten und Wachstum des Stellenangebotes in der Sozialbürokratie! Dabei ist die Kontrolle über sehr viele sozialbedürftige Menschen ein äusserst erwünschter Nebeneffekt für den Bürokraten.

    Herr Schmid, zu denken geben sollten Ihnen, dass die Anzahl der Sozialhilfeabhängigen auf einmal sprungartig ansteigen könnte. Zu denken geben sollte Ihnen nicht nur der Groll vieler von der Sozialhilfe Gegängelten, sondern auch die grosse Furcht eines nicht geringen Teil unserer Bevölkerung (bald) einmal von Sozialhilfe abhängig zu werden.

    Mit freundlichen Grüssen
    Alexander Hediger

  3. Zitat:
    Dazu kommt noch die unsägliche Verwandtenunterstützungspflicht (de facto eine Sippenhaft)

    Ich habe sogar gehört, dass Lebenspartner unterstützt werden müssen, wenn sie mit einem Partner zusammenwohnen, der in besseren Verhältnissen lebt.

    Kann ich es mir in unserer “humanitären” Schweiz noch leisten, mit einem Partner zusammenzuziehen?
    Das muss ich mir ja schon gut überlegen und mich informieren. Da darf ich nicht einfach mein Herz sprechen lassen.

  4. ( Sehr geehrter Herr Dr. Walter Schmid )
    Unsere Sozialhilfe beabsichtigt nur, die Armut zu bewirtschaften. Das bedingungslose Grundeinkommen hingegen kann die Armut abschaffen. Bewirtschaften und abschaffen sind zwei verschiedene Dinge.
    Wenn Professor Albert Zweistein an der ETH-Zürich einen genialen Trick erfindet, damit die Menschen nicht mehr krank werden, sollen wir dann tatsächlich auf diese geniale Erfindung verzichten, damit unsere Pharma-Konzerne weiterhin Pillen verkaufen können ??
    Arbeiten und Geld-Sammeln sind eben zwei verschiedene Dinge.

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