SCHWERPUNKT: Nichtstun

Denke nicht, Nichts sei Nichts …

 

Die aktuelle Ausgabe von brand eins bietet ein ausgezeichnet zubereitetes und reichhaltiges Menü zum Kulturimpuls bedingungsloses Grundeinkommen. Es geht um das Verstehen des Übergangs vom Industrie- ins Kulturzeitalter. Um den Einzug der Freiwilligkeit in die Arbeit als notwendiger Schritt für die Produktivität und das Gedeihen einer sozialen, liberalen und demokratischen Gesellschaft.

Der Leitartikel von Wolf Lotter steht bereits online zur Verfügung:
Die Not des Müßiggangs

 

Hier ein paar ausgewählte Zitate:

“Wer jeden Werktag von neun bis fünf im Büro arbeitet und regelmäßige Beschäftigungsnachweise führt, wird geachtet. Wer seine Kopfarbeit aber nicht im Büro, sondern zu Hause erledigt, steht unter Generalverdacht, die meiste Zeit nichts zu tun. Das ist zwar falsch, aber kein Wunder, denn viele Unternehmen und Organisationen werden vorwiegend durch ihre Kontrollkultur zusammengehalten. Ihr eigentlicher Betriebsgegenstand ist Disziplinierung. In diesem Weltbild kann es nicht sein, dass man etwas tut, das man gern tut und das dabei noch etwas leistet. Alles Nützliche ist anstrengend. Wer schwitzt, hat recht.”

“Müßiggang, also zu tun, was man will – das ist eben nicht ganz so einfach. Bevor man tut, was man will, muss man erst einmal herauskriegen, was das ist. Müßiggang ist eine Kulturtechnik. In der Oberschicht lernt man schon als Kind, dass man auch “an sich” jemand ist, ohne “sich nützlich” zu machen. Wer sich nur durch Leistung definiert, kennt das nicht. Existenzberechtigung erwächst nur aus Anstrengung. Wer die Arbeit verliert, verliert sein Leben. Allein das zu erkennen ist eine echte Plackerei.”

“Ohne Lohnarbeit sind wir nichts, alles ist darauf ausgelegt. Das ist unser Leben. Und das Verrückteste: In der Ursache für dieses Dilemma, im Industrialismus, liegt auch die Lösung. In diesem System wird ständig und fleißig optimiert und automatisiert. Für Wachstum und Wohlstand muss man nicht mehr malochen, sondern nachdenken. Das allerdings führt dazu, dass selbst bei erheblichen Leistungssteigerungen immer weniger Menschen arbeiten müssen. Die Frage, die schon in den Frühzeiten des Industriekapitalismus gestellt wurde, lautet: Was ist mit all jenen, deren Arbeitskraft man nicht mehr braucht? Wovon sollen die leben? Natürlich von den Früchten des Fortschritts und der Automationsgewinne. Es geht nicht darum, ob man umverteilt, sondern nur, wie man das tut. Man kann Beschäftigung erfinden, also den Leuten Arbeit geben. Das ist kulturell bewährt – und auch kompatibel mit der längst in allen Religionen zum Standard gewordenen Vorstellung, dass nur Fleiß ins Paradies führt. Man könnte die Fortschrittsdividende auch anders auszahlen, etwa in Form eines Grundeinkommens, das ohne Bedingungen gewährt wird. Das hat allerdings den Nachteil, dass man daran glauben muss, dass Menschen in der Lage sind, ein selbstbestimmtes Leben zu führen, also zu tun, was sie wollen. Kontrolle oder Vertrauen?”

“‘Dürfen wir nicht sagen: Es soll mir so gut wie möglich gehen?’ Das ist eine gute Frage in einer Gesellschaft, die sich permanent ein schlechtes Gewissen einredet – und die den kirchlichen Ablasshandel nur überwunden hat, um ihn auf alle übrigen Sphären zu übertragen. “Eine echte Leistungsgesellschaft”, sagt Kitz, “wäre ja okay – aber das ist eine reine Stressdarstellergesellschaft.” Kitz empfiehlt, wie einst schon Russell, kühlen Pragmatismus: “Müßiggang braucht einen Plan. Man muss Stück für Stück rausgehen, immer einen Schritt, nicht einfach mit allem brechen – das klappt nicht und macht nur noch frustrierter.” Und er weiß, dass viele die Arbeit brauchen, “weil sie ihnen Struktur und Inhalt gibt. Das ist doch total okay.” Aber andere zur Arbeit zu zwingen, sie zu Asozialen zu erklären, wenn sie nicht bedingungslos im Hamsterrad mitmachen, das sei “von gestern und gegen jede Vernunft”, sagt er. Es wird unzählige Formen ganz persönlich abgewogener Arbeit geben – aber keine einheitliche Arbeitsgesellschaft mehr.”

 

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