Warum geht man überhaupt arbeiten?

Interessanter Beitrag in der FAZ:

Lob des Überflüssigen
Der spanische Kulturphilosoph Ortega y Gasset sagt: Der Mensch arbeitet in Wirklichkeit nicht des Geldes wegen.

 

Ausschnitte aus dem FAZ-Artikel von Christian Siedenbiedel:

Warum geht man überhaupt arbeiten? Warum verbringt jemand Tag für Tag im Büro oder in einer Fabrik, statt seinen Hobbys nachzugehen, draußen durch die Natur zu streifen oder irgendwo schön am Pool zu liegen? Die naheliegende Antwort ist: Weil man das Geld zum Leben braucht. Von dieser Vorstellung ist traditionell auch das Bild geprägt, das sich Ökonomen von der Arbeit machen: Der Mensch ist bereit, ein bestimmtes Maß an sogenanntem „Arbeitsleid“ auf sich zu nehmen, wenn er zum Ausgleich genug Lohn bekommt.

Aber trifft das wirklich die Gründe, warum wir einer Arbeit nachgehen? Vermutlich nicht vollständig. Das extreme Gegenteil wäre die Vorstellung von der Arbeit als „Selbstverwirklichung“. So sehen sie Philosophen wie Hegel: Erst durch die Arbeit komme der Mensch „zu sich selbst“ – so verwirklicht er sich.

Der spanische Kulturphilosoph José Ortega y Gasset (1883–1955) hat diesen beiden gegensätzlichen Motiven für Arbeit einen dritten Ansatz gegenübergestellt – und kommt zu eigenwilligen Schlussfolgerungen.

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Er unterscheidet ganz grundsätzlich zwei unterschiedliche Arten von Tätigkeiten, die der Mensch betreibt: die „notwendigen“ und die „überflüssigen“. Notwendig ist aus seiner Sicht alles, was man zur Sicherung des Lebensunterhalts macht. Man muss Geld verdienen, um etwas zu essen zu haben, ein Dach über dem Kopf und etwas anzuziehen. Das objektiv Überflüssige dagegen sind für Ortega y Gasset andere Dinge, die nicht der Sicherung der physischen Grundbedürfnisse dienen – Literatur, Musik, Theater oder Kunst. Dazu stellt er die paradoxe These auf:Für den Menschen sei nur das objektiv Überflüssige notwendig.

Was meint er damit? Zwar neige in gewissem Sinne schon die Natur bisweilen zum Überflüssigen, sagt Ortega y Gasset. So könne man sagen, dass zum Beispiel die Vögel im Frühjahr viel mehr zu singen pflegen, als es nach Charles Darwin für die biologische Arterhaltung eigentlich notwendig wäre. Aber erst der Mensch sei das seltsame Wesen, das überall und mit Inbrunst das Überflüssige tue. Er produziert Gedichte, Opern, Operetten und Ideologien. Er schmückt und schminkt sich, er durchwandert Eiswüsten und erklettert Berge. Er lässt sich auf waghalsige Wetten und Wettkämpfe ein, er spielt – und er fühlt sich bei alledem sogar noch wohl. Wenn er will, so kann der Mensch dabei erstaunliche Entbehrungen für seine Ziele in Kauf nehmen – und zumindest eine Zeitlang sogar auf das vermeintlich Lebensnotwendige verzichten.

Umgekehrt ist der Mensch auch das Wesen, das völlig verzweifelt sein kann, auch wenn er das Notwendige hat und vollgestopft ist mit Futter in jedem Sinne – und am Ende trotzdem Selbstmord begeht. Das macht er in den seltensten Fällen, weil ihm das Notwendige fehlt, etwa Essen und Trinken. Eher wegen Dingen, die im weitesten Sinne zum Überflüssigen gezählt werden können: aus Liebeskummer oder wegen eines Ideals, aus Begeisterung oder Enttäuschung. Dazu passt die historische Erfahrung, dass die Selbstmordrate in Ländern mit zunehmendem Wohlstand eher steigt als fällt.

Das Notwendige reicht dem Menschen offenkundig nicht zum Leben. Vielmehr, so folgert Ortega y Gasset,

„ist für den Menschen nur das objektiv Überflüssige notwendig“.

Die Vorstellung des Spaniers von Arbeit ist die eines Künstlers, eines Kreativen. So ähnlich wie auch Hegel einen bestimmten Typus von Arbeit im Kopf hatte – das Tagwerk eines Intellektuellen, der sich philosophierend die Welt erarbeitet. Dagegen hatten die Ökonomen bei ihrer Theorie vom Arbeitsleid eher jemanden im Kopf, der eine relativ stumpfsinnige Tätigkeit mit viel Mühe und Last erledigt, wie ein Fabrikarbeiter im 19. Jahrhundert. Wer heute über seine eigene Arbeit nachdenkt, findet wahrscheinlich Elemente der unterschiedlichen Modelle.

Dass Ortega y Gasset sich Arbeit als kreative Tätigkeit vorstellt, ist konsequent: Das entsprach seinem eigenen Leben. Zeitgenossen schildern den klassisch gebildeten Professor für Metaphysik, Philosophie und Literatur als „einen der anregendsten Gesprächspartner“, der ständig „Gedanken wie Pfeile“ abschieße.

Er pflegte die Tradition der „Tertulia“ – einer Art künstlerischer Gesprächsrunde, ähnlich den literarischen Salons früherer Zeiten. Der tägliche Austausch mit Freunden und Kollegen gehörte zu seinem Arbeitsprogramm. Er verstand sich als „Philosoph auf dem Marktplatz“ – als öffentlicher Intellektueller.”

Zum ganzen Artikel in der FAZ

 

Comments

  1. Der Tag an dem wir die Arbeitsämter schließen werden wird ein guter sein.
    Wer dann die “Drecksarbeit” macht darf überhaupt nicht die Frage sein, sondern wie wir unseren Blick darauf verändern können oder müssen. Wenn zB. die Müllabfuhr vorher zu solchen “niederen” Aufgaben gehörte, müssen wir uns darüber Gedanken machen wie wir Leben können ohne Müll zu produzieren. Wer sagt das geht nicht sollte sich informieren und staunen wie gut das geht.
    Wir sollten anfangen unsere Fragen und Bilder zu überdenken, nicht unsere Wünsche nach Gerechtigkeit und harmonischen Einklang.

  2. lieeber markus…

    deine aussage: “die annahme, dass der mensch “von sich aus” tätig wird, ist falsch.”
    ist aber auch falsch.

    ebenso, die behauptung wir würden nur für nahrung, unterkunft u.s.w. arbeiten.

    ich gehe seit 12 jahren (ehrenamtlich) arbeiten, obwohl meine “grundsicherung” durch harz IV gesichert ist.

    ! ich gehe arbeiten, weil mir die arbeit spaß macht und ich dadurch anderen menschen, denen es schlechter geht helfe.!

    und, das die anzahl gearbeiteter stunden zurückgeht, liegt meiner meinung daran, das immer mehr maschienen die arbeit von menschen übernehmen.
    und dadurch weniger arbeitsplätze tur verfügung stehen.

  3. Die Frage warum man Arbeiten geht, ist ja wohl für jeden klar denkenden Menschen klar: Für Nahrung, Unterkunft, Kleidung, Krankenkassen, Versicherungen, usw.
    Die Annahme, dass der Mensch “von sich aus” tätig wird, ist falsch. Man sieht ja, wie die Anzahl gearbeiteter Stunden zurückgehen mit steigendem Vermögen. Reiche findet man kaum beim Klo-Putzen oder im Migros an der Kasse. Der Grund ist einfach: Arbeit ist ein “bad”, in ökonomischer Sprache. Das heisst, bei sonst gleichem Einkommen und Vermögen werde ich die Variante mit weniger arbeiten bevorzugen. Die Annahme, dass man wegen “dem Sinn” arbeitet oder noch etwas drauflegt, dass man Arbeiten darf, ist falsch und empirisch widerlegt.
    Die Ökonomie ist eine Wissenschaft. Ihre Erkenntnisse kann man nicht einfach mit einer Referenz auf “das Philosophische” wegwischen. Wunschdenken in aller Ehren, aber dass aus einem utopischen Projekt plötzlich ein Albtraum werden kann, daran denkt niemand!

    • Die Idee sich durch Arbeit zu identifizieren ist in der Tat absurd, wer ist schon stolz auf eine Identität als Pommes Koch, Kloputzer oder Callcenter Agent ?

      Wenn es ein BGE gibt dann wird niemand mehr solche Jobs machen wollen. Dann wird die Ökonomie nur noch funktionieren wenn ein sehr hohes Maß an Automatisierung vorherrscht.

      Ein BGE kann also nur in einer futurischtischen High Tech Zivilisation funktionieren in welcher alle Arbeit die Mensch nicht machen will (und das dürften 90% aller Tätigkeiten sein) eben von Robotern, Computern usw erledigt werden. BGE geht nur wenn Science Fiction wirklichkeit wird. Aber so abwegig finde ich das dann gar nicht mehr wenn man sich den derzeitigen technischen Fortschritt vor Augen führt.

      • Oder aber, “Berufe” wie Pommeskoch, Kloputzer und Callcenter Agent fallen weg, bzw werden höher entlohnt.

        Eine gesunde Ökonomie funktioniert auch dann noch, unsere derzeitige dann aber nicht mehr.

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