«Weder spektakulär noch radikal»

TAZ:

«Die Schweiz stimmt über das bedingungslose Grundeinkommen ab. Mitinitiator Enno Schmidt über die Zukunft der Ökonomie und die Gegenwart der Kunst.»

«Weder spektakulär noch radikal»

 

2008 haben Sie den Film „Grundeinkommen – ein Kulturimpuls“ herausgebracht, der großes Aufsehen erregte und die Bewegung für das Grundeinkommen euphorisierte. Wo steht sie heute?

Sie nimmt weltweit zu. Durch die anstehende Volksabstimmung sind wir in der Schweiz gerade ganz weit vorne. Direkte Demokratie und das Bedingungslose Grundeinkommen gehören zusammen. Beides achtet die Bürgerinnen und Bürger als Souverän in ihren Entscheidungen. Nachdem das Grundeinkommen zentrales Thema auf dem Weltwirtschaftsforum 2016 in Davos war, hat die Diskussion darüber gewaltig Fahrt aufgenommen.

Inwiefern?

Die Industrie 4.0, also die Digitalisierung und Datenökonomie, wird in den nächsten zwanzig Jahren etwa die Hälfte aller heutigen Arbeitsplätze überflüssig machen. Aber ein Einkommen braucht jeder. Arbeit und Einkommen sind nicht das Gleiche. Wer das versteht, handelt. Es gibt bereits viele Projekte, die das umsetzen.

Sie treten für eine enge Verbindung von Kunst und Wirtschaft ein. Wie kommt das beim Bedingungslosen Grundeinkommen zusammen?

Es nimmt jeden in seiner Idee und in seiner Lebensführung ernst. Es schafft Freiraum, der für Kreativität und Selbstverantwortung nötig ist, und ermöglicht mehr Initiative und wirkliche Zusammenarbeit, weil niemand mit seiner bloßen Existenzgrundlage erpressbar ist. Die Frage, was Geld ist und wie es entsteht, gehört auch dazu. Darum habe ich am Aufbau einer Stiftung mitgewirkt, die bedingungslose Stipendien vergab. Das waren Beträge von etwa 400 Euro monatlich über ein bis drei Jahre.

Was verstehen Sie unter bedingungslos?

Dass etwas keine Auflagen hat und kein Ergebnis vorweggenommen wird. Wir leben in einer Welt der Funktionalität. In ihr ist die Bedingungslosigkeit wie ein schwarzes Loch. Es ist schwerer, Menschen zu fördern als Sachen und Projekte. Menschen kann man nur mit Interesse am anderen und mit Bedingungslosigkeit fördern. Die Bedingungslosigkeit ist weder spektakulär noch radikal. Radikal sind die tradierten Vorstellungen, die über andere bestimmen wollen.

Die Frage ist also weniger, ob ein Bedingungsloses Grundeinkommen kommt, sondern wie es kommt?

Und was es ethisch moralisch beinhaltet. Man könnte es auch als ein Menschenrecht verstehen. Das Grundeinkommen gewährt das Recht auf Leben. Es ist ein demokratisch rechtlicher Schritt. Aber eben das fordert ein ganz neues Denken und lässt alte Glaubenssätze wackeln. Es ist eine neue Aufklärung vor der Industrie 4.0 nötig, so wie es eine Aufklärung vor der ersten Industrialisierung gab.

Ist das nicht sehr idealistisch gedacht?

Wäre das schlecht? Wo wären wir ohne die Ideale unserer Vorfahren? Das Grundeinkommen kommt entweder zwangsläufig im Zuge der Digitalisierung als unausweichliche Folge der Automatisierung. Dann spielt der Mensch aber keine zentrale Rolle. Oder es kommt als zivilgesellschaftlicher Schritt zu einem demokratisch rechtlichen Einkommen aus der gemeinsamen Auseinandersetzung.

Ist die Volksabstimmung in der Schweiz so eine gemeinsame Auseinandersetzung?

Sicher. Sie ist ein allgemeiner Bildungsprozess und ein politisches Instrument, das Vorschläge aus der Bevölkerung bei mehrheitlicher Zustimmung rechtsverbindlich zu einem Auftrag an die Regierung macht.

Wäre es nicht angebracht, angesichts der miserablen wirtschaftlichen Lage mancher südlicher Länder, dort als Erstes ein Grundeinkommen einzuführen, damit die Wirtschaft wieder läuft?

Es geht beim Bedingungslosen Grundeinkommen um Grundlegenderes als nur um das Ankurbeln der Wirtschaft für ein unaufhörliches Weiter-so. Es geht darum, die Menschen freier zu machen. Auf dieser Grundlage würde die Wirtschaft nach Maß des Menschen und nicht nach Maß der Profitmaximierung angekurbelt. Das Grundeinkommen wird von der gängigen Ökonomie als Störung empfunden. Mit der Bedingungslosigkeit bricht etwas Unberechenbares in ihr Universum, etwas, für das Ökonomen keine Formel haben.

 

Comments

  1. Das beste objektive Argument für ein BGE ist die Behauptung, dass mit der Digitalisierung eine Reihe von Stellen wegfallen werden. Ich gehe einmal auf dieses Argument ein.

    Was in der Zukunft kommen wird, kann niemand sagen, sonst könnte er an der Börse darauf wetten und reich werden. Diejenigen wenigen, die an der Börse reich geworden sind haben Glück gehabt: sie sind also ein ganz kleiner Teil von Leuten, die bei jeder Kopf- oder Zahl-Wette immer richtig getippt haben. Der grosse Rest der Markler, verdient gerade mal genug um die Abgaben an die Börse und Banken zu zahlen, um überhaupt zu wetten. (Natürlich wird man als Banker reich, wenn man sich die Transaktionsgebühr unter den Nagel reisst).

    Was die BGE-Befürworter also postulieren kann nicht mit Sicherheit gesagt werden, sondern stellt eine These dar.
    Um diese zu erhärten oder zu verwerfen können wir in der Ökonomie eigentlich fast nur die Vergangenheit betrachten. Wie lief es in der Vergangenheit?

    Wenn wir die ganze ökonomische Geschichte von der Zeit Christi bis heute betrachten, stellen sich uns zwei grosse Perioden entgegen: Die Periode VOR der industriellen Revolution, und die Periode NACH der industriellen Revolution.

    Vor der industriellen Revolution verharrte die Wirtschaft in einem malthusianischen Zyklus: sobald, dass die Löhne und die Produktivität stiegen, wurden sofort neue Kinder in die Welt gesetzt, die jetzt auch überleben konnten, und durch die Kosten des Unterhalts dieser neuen Menschen sank das Durchschnittseinkommen wieder auf den Subsitenzwert zurück.

    Ganz anders nach der industriellen Revolution: Die Löhne stiegen jetzt auch obwohl es mehr Leute gab, und der malthusianische Zyklus wurde durchbrochen. Wir sind heute 30 – 100 mal so reich an Einkommen wie ein Arbeiter vor der industriellen Revolution.

    In der Zeit der Selbstversorgung gab es keine Arbeitslosigkeit, wohl gab es auch da schon Zöglinge, die nicht wollten, aber die wurden bei Stange gehalten und mit Drill der Arbeit zugeführt.

    Arbeitslosigkeit tritt in der Schweiz offiziell erst sein Mitte der 70er Jahre des letzten Jahrhunderts in Kraft. Vorher gab es trotz industrieller Revolution, keine offizielle Arbeitslosigkeit, obwohl auch die Krise der 30er Jahre nicht spurlos an der Schweiz vorbeigegangen ist.

    Seit den 70er Jahren steigt die Sockelarbeitslosigkeit stetig an, da haben die BGE-Befürworter recht. Rechnet man die zyklischen Schwankungen heraus, blieb die Sockelarbeitslosigkeit konstant oder vergrösserte sich. Wo ich nicht eins gehe mit den BGE-Befürwortern ist der GRUND dieser Entwicklung:
    Der Grund liegt in der höheren Arbeitslosigkeitsentschädigung, welche die Anreize zur Arbeitsaufnahme zerstört. Ende der Neunziger Jahre erkannte das der Bund und kürzte das Arbeitslosentaggeld. Und siehe da, die Sockelarbeitslosigkeit ist nicht mehr signifikant gestiegen seit den Neunzigern.

    Jetzt zum inhaltlichen Argument der Befürworter: Man sagt, dass ein positiver kausaler Zusammenhang zwischen Technisierung und Arbeitslosigkeit besteht. In diesem Fall müssten die am meisten technisierten Länder wie Südkorea und Japan die höchsten Arbeitslosenzahlen haben und die am wenigsten technisierten, wie Ghana und Burundi die tiefsten Arbeitslosenzahlen.

    Das Gegenteil ist der Fall: Die Volkswirtschaften von Südkorea und Japan sind beinahe vollbeschäftigt, während die “Failed States” von Ghana und Burundi vor sich hindümpeln mit horrenden Arbeitslosenquoten.

    Vielleicht liegt der Absturz deshalb in der Zukunft: Ab einem bestimmten Punkt der Technisierung steigt die Arbeitslosigkeit an. Das können wir weder wiederlegen noch bestätigen. Die Vergangenheit lehrt uns, dass der technische Fortschritt noch NIE zu Arbeitslosigkeit geführt hat. Ein weiteres Argument betrifft die Sektoren der Volkswirtschaft: Klar, Bauern und Lastwagenfahrer wird es in der Zukunft in der Schweiz weniger brauchen. Andererseits brauchen wir mehr Mechatroniker und Ingenieure um die Maschinen in Stand zu setzen und zu warten. Warum also Menschen nicht einfach umschulen? Der Markt wird automatisch dazu führen, dass sich Menschen umschulen lassen, wenn das noch nicht reicht, kann der Staat da lenkend eingreiffen, zum Beispiel mit Arbeitsmassnahmen, welche die Leute im Primären Sektor in den tertiären Sektor umschult. Was es aber sicherlich nicht braucht ist eine Staatsrente um denjenigen, die jetzt aufhören müssen als Lastwagenfahrer ein lebenslanges Einkommen auszubezahlen. Dann machen die ja nichts mehr auch keine Umschulung sondern richten sich in den komfortablen 2500 CHF königlich/kaiserlich ein.

    Die Schweiz würde gut daran tun die MINT-Fächer in den Schulen und Universitäten zu fördern und mit Subventionen neue Technologien wie Solarzellen zu fördern, da bin ich auch dafür. Da endet aber die Verantwortung und die Befugnisse des Staates aber schon und alles was darüber hinaus geht ist Kommunismus.

    Man kann es drehen und wenden, wie man will: Ein BGE ist und bleibt eine Spinnerei von ein paar Spinnern.
    Die Schweiz wird am nächsten Sonntag zeigen aus was Schweizer gemacht sind, nämlich tugendhaftem Fleiss, Präzision und Termintreue und ein Arbeitsethos um das uns auch das ganze weisse Europa beneidet.

  2. Hierzu passend nochmals den grossartigen Beitrag von Enno Schmidt im Dezember des Jahres 2014 mit dem Title:
    DAS IST MIR ZU PHILOSOPHISCH
    Ich hatte damals auch einige Kommentare dazu geschrieben, die ich heute hier genauso wiederholen könnte.

    http://www.grundeinkommen.ch/das-ist-mir-zu-philosophisch

    Ich möchte diese Gelegenheit hier nutzen Enno Schmidt einmal herzlichst zu danken für seine grossartige Arbeit und seinen unermüdlichen Einsatz für’s BGE.

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