«Das Grundeinkommen ist kein Lottogwinn»

Ein ausführliches Gespräch mit Philip Kovce in der aktuellen Ausgabe 6/2017 von «Psychologie heute» zum Unterschied zwischen Müssen und Wollen und den häufigsten Fragen zum bedingungslosen Grundeinkommen:

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Ausschnitte aus dem Gespräch:

Was bedeutet die Idee des bedingungslosen Grundeinkommens heute für Sie? Ich habe bisher verstanden: Geld für nichts.

Gemäß der Logik des Leistungslohns ist das Grundeinkommen Geld für nichts, weil es keine Leistung honoriert. Gemäß der Logik des Menschenrechts ist das Grundeinkommen Geld für alles, weil es die Existenz jedes Einzelnen sichert und damit Leistung überhaupt erst ermöglicht. Ich sehe darin die großen Ideale Freiheit und Solidarität vereint. Das Grundeinkommen ist sozial und liberal. Sozial, weil es für alle ist. Liberal, weil es bedingungslos ist.

Wenn ich einen Job habe und zusätzlich ein Grundeinkommen beziehe, dann habe ich mehr Geld. Woher kommt das Geld?

Das ist ein Irrtum. Das Grundeinkommen ist kein Lottogewinn. Es ist finanziell gesehen ein Nullsummenspiel. Sie werden mit einem Grundeinkommen nur dann über mehr Geld verfügen, wenn sie heute unterbezahlt sind. Weil wir heute arbeiten müssen, haben wir keinen freien Arbeitsmarkt. Das Verhältnis zwischen Wertschöpfung und Wertschätzung kann sich nicht frei bilden. Mit einem Grundeinkommen wäre das anders: Wer ein Grundeinkommen erhält, der kann sich gut überlegen, wann er welche Arbeit übernehmen will. Sinnlose Arbeit wird dann teuer bezahlt werden müssen – und sinnvolle Arbeit kann sogar umsonst erledigt werden.

Das ist dann ehrenamtliche Arbeit?

Das ist dann Arbeit. Punkt. Jede Arbeit, die ich freiwillig ergreife, ist ehrenwert! Ganz unabhängig von der Bezahlung. Dass wir heute so pedantisch zwischen Erwerbsarbeit und Ehrenamt unterscheiden, schmälert beides. Erwerbsarbeit, die bloß Dienst nach Vorschrift ist, benötigen wir ebenso wenig wie ehrenamtliche Tätigkeit, die bloß auf Schulterklopfer aus ist.

Wenn Menschen vom Arbeitszwang befreit sind, besteht dann nicht die Gefahr, dass alle nur noch machen, was ihnen gefällt – unabhängig davon, ob es bezahlt oder gebraucht wird?

Ich halte die Vorstellung, dass mit einem Grundeinkommen alle nur noch dichten oder musizieren wollen,  für weltfremd. Mit einem Grundeinkommen kommt auch die Wahrheit über die eigenen Fähigkeiten und Unfähigkeiten besser ans Licht. Das würde viele Lebensträume als Hirngespinste entlarven, denen man nur nachsinnt, solange man nicht in die Verlegenheit gerät, sie verwirklichen zu können. Wer heute ein ungelebtes Leben als Maler, Schriftsteller oder Komponist vor sich herträgt, der wird mit einem Grundeinkommen keine Ausreden mehr haben, dieses Leben nicht zu führen. Er wird aber womöglich schon bald erkennen, dass sein angeblicher Traum gar nicht den eigenen Fähigkeiten oder dem Bedarf der anderen entspricht.

Was ist mit der Motivation – was werden Menschen tun, wenn sie nicht arbeiten müssen?

Wenn wir nicht arbeiten müssen, wollen wir arbeiten. Wenn wir allerdings zur Arbeit gezwungen
werden, werden wir faul. Faulheit ist keine anthropologische Konstante, sondern eine menschliche Reaktion auf unmenschlichen Zwang. Psychologische Studien zeigen immer wieder, dass Zwang der größte Motivationskiller ist. Besonders perfide sind die als Anreize getarnten Zwänge. Sie sind derzeit weit verbreitet und vergiften das Arbeitsleben. Sie unterstellen uns Unlust und führen dazu, dass wir tatsächlich die Lust verlieren. Ein tragisches Beispiel: das Hartz-IV-Regime. Es unterstellt flächendeckend Faulpelzerei und droht ununterbrochen mit Sanktionen. Mittels schwarzpädagogischer Maßnahmen erstickt diese neoliberale Besserungsanstalt noch den letzten Funken Freiwilligkeit – um genau daraus die eigene Notwendigkeit abzuleiten. Das ist zynisch – und einer freien Gesellschaft nicht würdig.

Wie würde denn unsere Gesellschaft aussehen nach zehn Jahren mit einem Grundeinkommen?

Ich weiß es nicht. Die Zukunft ist offen – und das ist auch gut so!

Aber wenn Sie keine schöne Utopie malen, weiß ich gar nicht, ob ich für so ein Grundeinkommen bin.

Das Grundeinkommen wird erst dann kommen können, wenn ich anzuerkennen bereit bin, dass die Ziele der anderen tatsächlich andere sein können, als mir lieb sind. Solange ich meine, ich müsste die anderen noch wie Schäfchen einhegen, damit es einigermaßen nach meinem Plan läuft, bin ich gut beraten, mit dem heutigen System vorlieb zu nehmen. Wenn ich meine Fantasie nicht auf meine Zukunftsvorstellungen, sondern auf die unverfügbare Freiheit der anderen richte, dann weiß ich zwar nicht, wie die Zukunft aussehen wird, aber immerhin, aus welcher Kraft heraus sie gestaltet werden kann.

Sie werben für die Idee des Grundeinkommens, ohne einschätzen zu können, wohin unsere Gesellschaft damit steuert? Das ist ja wie bei Kolumbus – der losfährt und nicht weiß, wo er landet.

Und was hat er entdeckt? Amerika!

Er hätte aber auch untergehen können!

Das können wir auch. So oder so. Wollen wir also zu Hause bleiben – oder Amerika entdecken? Dabei sollten wir die Möglichkeit, auch zu Hause unterzugehen nicht unterschätzen. Als ob wir dieser Tage mit unseren überkommenen Institutionen aus dem Industriezeitalter auf der sicheren Seite wären! Das Grundeinkommen verlässt aus guten Gründen den Weg der Sozialbürokratie des 19. Jahrhunderts und wappnet uns für die individualisierte und globalisierte Welt des 21. Jahrhunderts. Dass dieser neue Weg kein vorgeschriebenes Ziel hat, mag beunruhigen. Aber das Grundeinkommen ist gerade nicht Opium fürs Volk, keine Beruhigungs- und keine Glückspille. Es freut sich über die Freiheit des Einzelnen. Deshalb ist es keine Ideologie, sondern eine gute Idee.

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Comments

  1. Guten Tag

    Ja, es stellt sich durchaus die Frage der Gemeinsamkeiten zwischen einem BGE und einem Lottogewinn.

    Lottogewinne sind im Allgemeinen einmalig. Man erhält sie nicht perpetuell durch das ganze Leben. Sie sind nicht bedinungslos, da man einen Lottoschein kaufen musste. Die Lotterie funktioniert, da es eine private (oder halb-private) Organisation ist, die ihre Einnahmen, mit ihren Ausgaben in Deckung bringen kann. Vom Betrag her sind die meisten Lottogewinne kleine Beträge, nur wenige erhalten so viel wie 2500 CHF als Gewinn, auf alle Fälle nicht alle, die mitmachen.
    Dies alles im Gegensatz zu einem BGE, dass die oben genannten Attribute nicht erfüllt.

    Jetzt zu den Gemeinsamkeiten:
    Genau wie (grosse) Lottogewinne machen Grundeinkommen faul. Man ist abgesichert gegen Unsicherheiten und Unfälle und kündigt gerne mal seine Arbeit auf. Wie hoch ist total, über ein Leben ausgezahltes BGE:
    Wir rechnen (mit der
    625 CHF * 12 * 18 + 2500 CHF * 12 * 65 = 2’085’000 CHF ungefähr 2 Millionen CHF (wobei man noch mit den Zinssätzen diskontieren müsste um den “Net Present Value” zu erhalten). Auf alle Fälle entspricht ein durchschnittliches BGE in der gesamten Höhe einem hohen Lottogewinn, der in der Regel nur durch 6 Richtige zu erreichen ist.

    Nun weiss ich nicht, wie viele Lotto-Multi-Millinonäre sie kennen, aber es dürfte bekannt sein, dass das ein seltenes Phänomen ist. Jetzt durch dem Staat jedem einen Lottogewinn auszahlen zu wollen, würde die Staatsfinanzen empfindlich überfordern, selbst wenn das über den Zeitraum von 83 Jahren geschieht. Klar: Millionär will jeder sein, leider können es nur die wenigsten werden. Wenn mir jemand 2 Millionen CHF bedinungslos anbietet, dann würde ich diese selbstverständlich nehmen! Das Problem ist nur, wenn ALLE diese Summe von allen anderen wollen, bricht das System inhärent in sich zusammen. Die Wohlfahrt der Gemeinschaft steht in diesem Punkt in empfindlichen Verhältniss zu der Wohlfahrt der Einzelnen. Nun, wenn es mir egal ist, dass alles zusammenbricht, dann kann ich die Wohlfahrt der Individuen fordern und kann ein BGE auszahlen. Viele Schmarotzer würden die erste Tranche des BGEs geniessen, ohne sich bewusst zu sein, dass das gestohlenes Geld ist, und dass das System schon beim Eintreiben der zweiten Tranche in sich zusammenbrechen wird.

    Um zusammenzufassen, kann ich sagen: Das BGE ist kein Lottogewinn: Es ist erheblich dekadenter als ein Ferrari-fahrender, Lotto-Millionär. Das BGE fordert das Unmögliche, und zwar für alle. Wenn das kommt, dann bricht alles zusammen.

    • Nichts bricht zusammen, wenn wir anfangen uns unsere Existenz gegenseitig miteinander BEDINGUNGSLOS zu sichern.

      Denn die Bedingungslosigkeit der Existenzsicherung ist der einzige Unterschied zu unserem heutigen System. Wir lassen den Zwang fallen und ersetzen ihn durch Freiheit.

  2. Bei allen Darstellungen bisher wurde nie auf die Beiträge zur Krankenversicherung und Rentenversicherung eingegangen. Ist es richtig, dass vom Grundeinkommen diese Beiträge geleistet werden müssen? Das würde den Blick auf das GE doch verändern.

    • Halo Jeanette Basko,
      die Rentenversicherung fällt weg, da man anstatt Rente das Grundeinkommen bekommen würde. Ob und wie die Krankenversicherung zu bezahlen wäre, hängt vom Grundeinkommensmodell ab. Es gibt bisher viele verschiedene Ideen. Welche die beste ist sollte über einen gesellschaftlichen und politischen Diskurs entschieden werden. Sicher ist aufjedenfall, dass das Grundeinkommen die Existenz sichert und gesellschaftliche Teilhabe ermöglichen wird(auch im Krankheitsfall).

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