Bericht von der internationalen Grundeinkommens-Konferenz in Montreal
V.l.n.r.: Enno Schmidt, Barb Jacobson, Philippe van Parijs, Eduardo Suplicy
Vom 27. bis 29. Juni 2014 fand in Kanada der internationale BIEN-Kongress Re-democratizing the Economy statt. Ein persönlicher Bericht von Enno Schmidt:
Wie war’s
Schön war’s. Montreal ist eine schöne Stadt, groß und kräftig und dabei sanft. Und sinnlich, wenn die Sonne strahlt, wie sie es an den Tagen der Tagung tat. Es spielt das Gewaltige des ganzen Landes mit hinein, des zweitgrößten der Erde, größer als China, fast so groß wie ganz Europa. Nur 35 Millionen Menschen leben darin. Die meisten im Süden entlang der Grenze zu den USA, dem einzigen Nachbarn von Kanada. Das Staatsoberhaupt von Kanada ist die Englische Königin.
Ich möchte mit meinem persönlichsten Eindruck beginnen. Der war auf dieser internationalen Konferenz mit Menschen aus so vielen Ländern und Kontinenten, die sich für ein Grundeinkommen einsetzen, dass überall auf der Welt Menschen sind.
Dass es alle Menschen sind.
Jetzt kann man sagen: das weiß man doch sowieso. Aber was man sowieso weiß, das erlebt man nicht mehr. Ich habe es so erlebt. Das ist mir wichtig. Und das vergisst man schnell.
In der Unterschiedlichkeit ist das Menschsein das Gleiche. Was auch bei allen gleich ist, ist der intime Grund für ein Grundeinkommen: mehr selbstbestimmte Lebensführung. Auch die Bedingungslosigkeit eines Grundeinkommens stand bei allen außer Frage. Dass es allerdings für alle sein sollte, das Grundeinkommen, da hört die Gleichheit auf. Einige sehen nur in den prekären Verhältnissen der Armut einen Bedarf für ein Grundeinkommen.
Ein zweiter persönlicher Eindruck war für mich, dass weltweit in gleicher Weise der äußere Einsatz für ein Grundeinkommen auch am Grundeinkommen vorbeigehen kann. Auf der einen Seite ins Theoretische, das aufdecken will, aber sich selbst genug sein muss. Es findet keinen Ausgang. Es wird zur Insiderdebatte. Die Idee geht unter in Gesellschaftskritik oder trocknet aus in Modellen, die immer noch mal nachgebessert werden müssen. Es wird zum eigenen Süppchen. Wer soll das auslöffeln? Die einst frischen Zutaten verkochen. Der Geschmack geht raus und wird versalzen.
Die Wissenschaftlichkeit lockt mit dem Erwiesenen anstatt dem Eigenen. Damit zieht sie Kräfte anderer an sich und stellt sie vor die rote Ampel. Denn da geht es nicht zum Grundeinkommen. Da geht es zu einem Auftreten in etablierten Formen. Man möchte sich keine Blöße geben. Man hofft, damit zu überzeugen. Aber wer soll daraus was machen?
Zur anderen Seite hin geht es in etablierte Emotionen. Für die Armen, gegen Ungerechtigkeit. Das sind etablierte, aufgeladene Formen. Dafür muss ich nichts Neues leisten. Damit stehe ich auf der richtigen Seite. Das tut eine Menge Bedeutung auf. Das ist eine zwingende Logik, die einen trägt, und eine Emotion, der man nicht widersprechen mag. Da wohnt die Frage außerhalb. Da verschwindet das Neue des Grundeinkommens in den Taschen alter Not.
Eine Frau aus dem Plenum brachte es auf den Punkt, als sie mich fragte: Aber wieso denn ein Grundeinkommen in der Schweiz? Sie meinte, in der wohlhabenden Schweiz sei das doch nicht nötig.
Stimmt, in der Schweiz ist das nicht nötig. Es ist aber nirgendwo nötig. Alle Probleme lassen sich auch anders lösen. Das Grundeinkommen geht nicht mit einer zwingenden Logik an mir selbst vorbei. Das zwingende führt nicht zu einem bedingungslosen Grundeinkommen. Das Grundeinkommen ist der eine eigene Schritt in Freiheit. Das ist der schmale Grad, auf dem die Idee des bedingungslosen Grundeinkommens anzutreffen ist.
Auf diesem Kongress in Montreal war wie überall durchmischt, was das Öffnende des Grundeinkommens eher in alte Aufregungen verstrickte und das, was den Mut zu sich selbst hatte und auf den Punkt kam. Dabei wurde mir noch einmal klarer:
Eine Methode kann nur ergeben, was sie ist. Die Methode Gesellschaftskritik ergibt mehr Gesellschaftskritik. Die Methode Theoriebildung ergibt mehr Theorie. Worauf man sich richtet, das nimmt zu. Das ist bei allem so. Armut fokussieren ergibt mehr fokussierte Armut. Das Ergebnis einer Methode ist wie die Methode. Was ist die Methode Grundeinkommen?
Was ist, wenn ich mit dem bedingungslosen Grundeinkommen alte Löcher stopfen will? Dann geht das aus dem Grundeinkommen raus, was es ausmacht. Was es ausmacht ist dieser eigene Schritt in Freiheit. Die Lösungsversuche, die keine Lösungen bringen, bringen sie deswegen nicht, weil sie diesen kleinen eigenen Schritt in Freiheit nicht beinhalten. Sie setzen Konzepte vor und Bedingungen fest und Programme um. Wenn man ein Grundeinkommen nun in der Art einer solchen Lösung sieht, dann macht man es zu einem Papiertiger. Sieht nach einer Generallösung aus, hat aber keine Zähne mehr. Weil der freie Punkt draußen ist. Und damit der Biss, die – wenn man so will – Verpflichtung. Die ziehende Not einiger anderer oder dass man selbst es gut gebrauchen könnte, führt nicht zu einem bedingungslosen Grundeinkommen für alle. Ein bedingungsloses Grundeinkommen für Arme ist nicht bedingungslos. Es meint nicht die Person an sich und damit jeden, sondern die in der Situation. Da sind wir bei der Sozialhilfe. Bei einem alten Gedanken. Der hat zu dem geführt, was wir heute haben. Das Grundeinkommen ist deshalb ein Weg aus der Sozialhilfe und aus der Armut, weil es keine Sozialhilfe ist und sich nicht auf die Armut kapriziert. Es kann zu vielen Lösungen beitragen und in allem belebend auftauchen, weil es selbst keine Lösung ist. Es spricht den Menschen an in seinem Mut zum Leben. Durch die Person können Lösungen kommen. Was auch immer für eine Lösung, ob überhaupt oder auch nicht. Es steht nichts darüber. Dass ist der Biss. Der trägt dazu bei, die Verhältnisse aufzulösen, in denen das Koloniale und Feudale sich huldvoll über andere hermacht.
Die Idee des bedingungslosen Grundeinkommens ist nur die Idee des bedingungslosen Grundeinkommens. Sie ist keine andere Idee. Sie ist nicht die Idee des Tierschutzes oder besserer Arbeitsplätze. Sie stellt das nur alles neu ins Licht. Sie fokussiert allein den Menschen, die vorhandene Person. Nicht die Menschheit oder das Menschsein als Ideal. Sie fokussiert nicht eine Funktion und nicht einen Status. Sie ist keine Klassifizierung und keine Klientelpolitik. Sie ist nicht Umverteilung und auch nicht Kreativitätssteigerung, sie ist nicht irgendein vorgezogener Zweck. Sie ist auch nicht gerecht oder ungerecht. Sonder die Idee des Grundeinkommens setzt da an, wo man selber ist. Das ist die Herausforderung. Die ergibt sich. Die ergibt sich auch bei der Frage, ob man das Grundeinkommen allen anderen zumuten möchte und zutraut. Die ergibt sich nicht, wenn die Not bestimmt oder andere Absichten. Die Idee des Grundeinkommens ist das Öffnende einer zugestandenen Würde, nicht eine einschließende Absicht. Sie ist der Grund für eine Frage.
Logisch ist ein bedingungsloses Grundeinkommen auch. Aber es ist immer die Frage, von wo die Logik ausgeht. Durch das bedingungslose Grundeinkommen geht sie vom Menschen aus, ganz konkret im Leben. Das ist eine öffnende Logik.
Wer war’s
Auf dem Kongress in Montreal waren Menschen aus Polen und Frankreich, aus Spanien, England, Italien, Finnland, Österreich, den Niederlanden, der Schweiz, Deutschland, Norwegen, Portugal, Belgien. Aus Russland war niemand da. Aber natürlich viele aus Kanada und auch aus den USA. Niemand aus der Arabischen Welt und niemand vom Afrikanischen Kontinent. Aber zwei Männer aus Australien, drei aus Indonesien. Eine Frau aus Indien. Aus Brasilien Senator Suplicy. Niemand aus China. Aber viele aus Süd Korea. Dort wird 2016 der nächste BIEN Kongress stattfinden. Aus Japan kamen welche, aus Mexiko und Argentinien.
Die McGill Université stellte dem Kongress die Chancellor Day Hall zur Verfügung, die Rechtswissenschaftliche Fakultät unter Daniel Weinstock trat als Sponsor auf.
Von den gut 200 Teilnehmern hatten 140 einen eigenen Beitrag in einem der vielen gleichzeitig laufenden Panals, Präsentationen und Podien. Wenig Zeit. Viel Powerpoint.
Was war
Gut vertreten war der Punkt Grundeinkommen und Gesundheit durch Dr. Anna Reid am Vorabend zu dem BIEN Kongress. Sie war Präsidentin des Kanadischen Ärzteverbandes. 50% der gesundheitsrelevanten Faktoren sind soziale Faktoren. Das belegte sie mit einer Studie der Ärztekammer. Unter den sozialen Faktoren steht das Einkommen an erster Stelle. Prekäre Einkommensverhältnisse führen zu Dauerstress, schlechterer Ernährung, zu ungesunden Wohnverhältnissen, weniger sozialen Kontakten, zu häufigerem Drogenkonsum, fehlender frühkindlicher Förderung und mangelnder Bildung, zu geringeren Handlungs- und Erlebnismöglichkeiten, zu Enge und Perspektivlosigkeit, die in Krankheiten ausbricht.
10% der gesundheitsrelevanten Faktoren sind Umwelteinflüsse, 15% sind Veranlagungen. Die medizinische Versorgung macht 25% aus. Darum ist Dr. Reid für die Einführung eines bedingungslosen Grundeinkommens aus ärztlicher und gesundheitspolitischer Sicht.
Senator Suplicy ist die treibende Kraft für ein bedingungsloses Grundeinkommen in der Brasilianischen Politik. Ihm ist mit zu verdanken, dass in Brasilien unter dem Namen Bolsa Família eine Unterstützung armer, kinderreicher Familien eingeführt wurde. Das Besondere: Bolsa Família ist ausdrücklich und im Gesetz so festgeschrieben eine Vorstufe zur Einführung des bedingungslosen Grundeinkommens. Mit seinem Freund Inácio Lula, damals Präsident Brasiliens, und mit Hilfe von Philippe van Parijs aus Belgien hatte Eduardo Suplicy das durchgesetzt. Jetzt, unter der Präsidentin Dilma Rousseff, ist er weiterhin am Ball. Sie sollte eine Grußbotschaft an den Kongress schicken, in der sie verkündet, wann denn nun das bedingungslose Grundeinkommen in Brasilien eingeführt wird. Das stände bei ihr ganz oben auf der Prioritätenliste, hatte das Sekretariat der Präsidentin bestätigt. Da steht es allerdings schon lange. Und wohl auch weiterhin. „Blown in the wind“, sagte Eduardo Suplicy dazu.
Die Politik lockt mit der Faszination des großen Hebels zur Umstellung, der dann nur leider nicht in der eigenen Hand liegt. Auch das stellt vor die rote Ampel. Deshalb haben Bruna Augusto und ihr Mann Marcus in Brasilien schon lange auf die Politik und Organisationen verzichtet und führen ihr eigenes Grundeinkommensprojekt durch. Aus eigener Tasche und mit Spendengeldern. „ReCivitas“. Bruna und Marcus waren nicht auf dem Kongress.
Guy Standing aus England und Renana Jhabvala aus Indien stellten ein Projekt der SEWA Bank in Indien vor. SEWA steht für: Self-Employed Woman’s Association. Das ist ein Verein selbständig erwerbstätiger Frauen, die sonst weder ein Konto noch Zugang zu einem Bankkredit hätten. Vor 40 Jahren wurde der Verein gegründet. Heute hat er 50 Tausend Mitglieder.
In zwanzig Dörfern in Indien haben sie nun den Einwohnern angeboten, jeden Monat einen Geldbetrag zu erhalten. Ohne Bedingungen. Für Frauen und Männer gleich hoch. Für Kinder ausgezahlt an die Mutter. Umgerechnet 10 Franken pro Person. Ein Betrag, der auch auf dem Dorf in Indien nicht zum Leben reicht. Aber er ist bedingungslos und wird ausgezahlt an jeden Einzelnen. Abgelehnt haben das nur diejenigen, die sich als die Wohlhabenden im Dorfe sahen. Abgelehnt hat das Familienoberhaupt. „Wir brauchen das nicht.“ Nach einer Weile kamen aber die Frauen aus diesen Familien und wollten doch gerne so ein Geld haben. Denn sie haben kein eigenes Geld. Es ist zum ersten Mal Geld individuell für sie. Ihr Geld! “Finanzielle Identität“ heißt das Stichwort. Renana Jhabvala betonte das. Und Guy Standing betonte, dass auch wenig Geld schon viel macht.
Um das Geld zu erhalten, mussten alle ein Konto bei der SEWA Bank eröffnen. Das war einfach. Dafür muss nur jeder seine Identität nachweisen. Wie? Der Name reicht. Aber mit dem hatten sich viele Frauen noch nie genannt. Sie nannten sich „die Mutter von …“ oder „die Frau von …“. Dass sie sich mit ihrem Namen nennen war schon ein Schritt zum Selbstsein.
Ansonsten hat das Projekt die gleichen Auswirkungen gezeigt wie das in Otjivero in Namibia oder das vor 40 Jahren in Dauphin in der Provinz Manitoba in Kanada. Unter anderem: mehr Bildung, bessere Gesundheit, mehr kleinwirtschaftliche Aktivität und mehr Lebensqualität miteinander, mehr Chancen, das eigene Leben in die Hand zu nehmen, ein Gleichziehen von Mädchen und Frauen mit dem männlichen Teil der Bevölkerung. … Am meisten nützt es den Kindern und am meisten nutzen es die Frauen. Der Schlüssel ist die Bedingungslosigkeit.
Staatliche Sozialleistungen gibt es auch in Indien. Die gehen aber meist nicht an die Person, sondern an den Haushalt. Und alle haben einen Haken. Der ist die Bedingung.
Damit eine Mutter mit Kindern eine Unterstützung erhält, muss sie sich von einer Krankenschwester aufsuchen lassen und der Gesundheitsvorsorge unterziehen. Die Krankenschwester ist aber überlastet, oft selber krank und kommt irgendwann mal ins Dorf. Würde sie eine Krankheit bei der Mutter oder den Kindern feststellen, hätte die Mutter nicht das Geld, die Medikamente zu bezahlen. Es scheitert an der Bedingung. Dieser Habitus ist weit verbreitet. Wenn Geld gegeben wird, muss sich noch irgendeiner draufsetzen und seine Vorstellung, was für den anderen gut sei, mit verordnen. Meistens ist das kontraproduktiv und lebensfremd, bevormundend und damit schwächend. Erniedrigt zu sein ist die Gabe, die der, der etwas bekommt, doch zumindest geben muss.
Das Projekt der SEWA macht noch einmal deutlich, dass die Bedingungslosigkeit die einzig richtige Form ist für ein Grundeinkommen oder auch für eine existenzielle Unterstützung. Die Bedingungslosigkeit ist die einzig achtungsvolle, menschengemäße Form und darum auch die effektivste. Weil die Wirkung in der Hand jedes Einzelnen liegt. Es braucht eigentlich keiner weiteren Beweise für die Richtigkeit des Bedingungslosen. Das Problem ist allein, dass die Bedingungslosigkeit für viele nicht zu denken ist. So wie lange nicht zu denken war, dass der Bauer gleiche Rechte wie der Adel hat. Oder dass Frauen gleiche Rechte wie Männer haben. Dass jeder Mensch ein Mensch ist. Wenn man Absichten über den Menschen stellt, geht es nicht.
Wie sie es ethisch vertreten könne, wurde Renana Jhabvala gefragt, das Projekt wieder beendet zu haben. Da würden doch viele, die sich mit dem Grundeinkommen eine Existenz aufgebaut haben, nun erst recht in Not geraten. Frau Jhabvala war etwas nervös bei der Antwort. Die Frauen in den Dörfern hätten ihr gesagt, dass sie dankbar sein für die Zeit, in der sie das Geld erhalten haben und diese Erfahrungen machen konnten. Sie seien jetzt nicht enttäuscht und hätten das nicht als Selbstverständlichkeit angesehen, die immer weiter geht.
Was noch war
Da war noch der Unterschied zur Schweiz. An dem Projekt in Indien oder an dem Bemühen von Senator Suplicy ist der gut festzustellen.
Pilotprojekte wie das in Indien stehen außerhalb der allgemeinen Gesellschaft und offiziellen Politik. Sie sind ein befristeter Fall. Bemühungen auf dem Parkett der großen Politik geschehen hinter verschlossenen Türen, nicht in der Bevölkerung, die das dann betrifft.
Die Volksinitiative und die Volksabstimmung in der Schweiz finden in der Bevölkerung statt, die das dann betrifft, in der allgemeinen Gesellschaft, und sie sind ein regulärer, offizieller politischer Vorgang. Die erfolgreiche Volksinitiative ist eine Staatsangelegenheit. Die Bürger sind der Staat. Die Volksabstimmung ist ein Abstimmungsprozess, eine Entwicklung innerhalb der ganzen Gesellschaft.
Darum kann das Vorgehen in der Schweiz auch anders sein als in anderen Ländern. Wir bieten eine Idee an zum Weiterdenken. Wir sammeln Unterschriften als demokratische Dienstleistung. Wir geben anderen die Gelegenheit, etwas anzustoßen, was sie wichtig finden. Wer die Volksinitiative für ein Grundeinkommen unterschreibt, der unterschreibt, dass er eine Abstimmung darüber will. Er unterschreibt nicht, dass er für ein bedingungsloses Grundeinkommen ist, sondern dass er die Abstimmung darüber will, die Auseinandersetzung und Vertiefung. Demokratie ist ein Prozess. Wir übergeben eine Idee an diejenigen, die darüber zu entscheiden haben. Das ist die Bevölkerung. Fertige Modelle schnüren den Sack zu. Dann steht man da und wirbt dafür, dass jemand da reinkrabbelt. Aber wer will das schon? Es richt so eigenartig. Das Grundeinkommen ist keine Detailverbesserung, die man schnell einsehen und abhaken kann, sondern eine lebendige Idee.
Für die Kongressteilnehmer war die Direkte Demokratie der Schweiz kaum zu verstehen. Weil sie dazu keine Erfahrung haben. Ein Initiativrecht für jede Bürgerinnen und jeden Bürger mit der Möglichkeit einer unmittelbaren Gesetzesfolge? Nicht nur Meinungsfreiheit auf der Straße ohne Folge? Nicht nur, dass man demonstrieren darf und sich wieder setzen? Eine Volksinitiative führt rechtsverbindlich zur Volksabstimmung, wenn 100.000 Menschen sie unterschreiben? Nicht nur eine Petition, die in den Kellern der Regierung verschwindet? Das Ergebnis einer Volksabstimmung ist ein verbindlicher Auftrag an die Regierung? Das unterliegt nicht dem Belieben der Regierenden, was daraus gemacht wird? Es ist nicht nur eine Protestnote oder Bittstellung? Die Bevölkerung beauftragt die Regierung unmittelbar? Sie kann das jederzeit? Nicht nur alle vier Jahre in Form einer Partei, die dann die Macht vor der Bevölkerung schützt? Sondern die Bevölkerung ist der politische Souverän? Nicht nur theoretisch, sondern tatsächlich?
Das ist für andere ein Traum wie das bedingungslose Grundeinkommen auch. Und sieht man, wie normal und unspektakulär die direkte Demokratie in der Schweiz ist, dann ahnt man auch, wie normal und unspektakulär ein bedingungsloses Grundeinkommen ist, wenn es erst einmal in der Erfahrung angekommen ist.
Im Übrigen ist das Image der Schweiz nicht so gut. Das hörte ich auf dem Kongress auch. Die Schweiz sei das Land, in dem die Gelder liegen, die den Bevölkerungen anderer Länder entzogen werden. Und die Schweizer profitieren davon. So wird es gesehen. Umso besser, dass die Volksinitiative zum bedingungslosen Grundeinkommen jetzt einen anderen Eindruck von der Schweiz macht. Da steht die Schweiz im Moment ganz vorne in einer weltweiten Entwicklung zu mehr Freiheit, mehr Verantwortung.
Die Direkte Demokratie kommt der Methode Grundeinkommen schon nahe. Beim Sammeln der Unterschriften für die Volksinitiative habe ich erleben können, was in diesem Fall Methode Grundeinkommen war. Einhunderttausend Unterschriften auf der Straße zu sammeln, eins zu eins von Mensch zu Mensch, das ist nicht ganz einfach und lief auch zunächst nicht so gut. Wir dachten, die Idee ist doch so gut, die Leute werden schon kommen, die dafür Unterschriften sammeln. Es war aber nicht ganz so. Alle Überlegungen, wie das Sammeln besser laufen könnte, die anfing mit: ‚wir müssten, wir sollten’, die ließen wir schnell bleiben. Denn es funktioniert nichts, was man sich ausdenkt, was andere machen sollen. ‚Oben wird gedacht, unten wird gemacht’, das war vielleicht noch im letzten Jahrhundert so. Jetzt ist Grundeinkommenszeit, jetzt ist das anders. Etwas Leichtes bekam das Sammeln erst, als die Generation Grundeinkommen auftrat. „Was ich mache, ist Generation Grundeinkommen“, sagte als erste Pola Rapatt. Und dann sagten es andere auch. Generation Grundeinkommen waren die Jungen, aber es meinte nicht nur die Jungen, sondern alle, die so leben und handeln, wie eben mit einem Grundeinkommen. Es meinte eine Lebenshaltung und eine Haltung zum Tun. Sehen, wo Bedarf ist, Ideen entwickeln und die Sache voranbringen. Einen Sog schaffen, eine Ausstrahlung, die attraktiv ist und eine Bewegung, die mitmachen lässt, einen Lebensteppich vorlegen, den andere gerne betreten. Das Sammeln bekam etwas Spielerisches, einen Eventcharakter, man traf sich, es gab Wettbewerbe, welche Gruppe bis wann mehr sammelt, ein sportlicher Charakter, gemeinsame Ziele, nahe Ziele, selbst festgelegte Etappen, die erreichbar waren, und somit ein Weg aus Erfolgen, die gemeinsam gefeiert wurden. Sog statt Druck. Wertschätzung für jeden und in allem auch Schönheit.
In der Schweiz gibt es nicht mehr Menschen, die für ein bedingungsloses Grundeinkommen sind, als in anderen Ländern auch. Aber mit der Volksinitiative erreicht der Gedanke viele und gärt, weil es ernst werden kann. Man könnte sich auf den Weg machen. In der Schweiz wird heftiger gegen diesen Gedanken geschossen und polemisiert als in anderen Ländern, weil es ernst werden kann. Das ist der Unterschied. Dieser Unterschied ist die Demokratie.
Basel, September 2014, Enno Schmidt
Ich denke, das Grundeinkommen ist eine ‘Idee’ die entstanden ist, aus der Überforderung, sich wirklich den alltäglichen Verantwortungen zuzuwenden!
Sie ‘verlockt’ den ‘inneren Schweinehund’. Gerade gegen den anzugehen, darin liegt die Hauptverantwortung eines jeden Menschen, auf ganz individuelle Weise, eine andere ‘Freiheit’ gibt es nicht!Freiheit kann nicht institutionalisiert ‘herbeigeführt’ werden!
Danke Enno für diesen wertvollen Bericht. Das Zauberwort für bedingungsloses Grundeinkommen (bGE) ist wohl “Freiheit”. Denn beim bGE handelt es sich um die fünfte Freiheit. Die letzte, die uns Schweizern noch fehlt. Und auch diese müssen wir uns erkämpfen.
Zur Freiheit gehört Verantwortung. Diese müssen wir alle nun wahrnehmen, um die StimmbürgerIn auf die Abstimmung in 2 Jahren vorzubereiten. Ich schlage vor, dass in allen Kantonen Netzwerke entstehen, die sich diesr Aufgabe annehmen. Es ist noch sehr viel Überzeugungsarbeit zu leisten. Graubünden wird aktiv werden…