Wir brauchen mehr Musse, um nicht zu verblöden

 

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Stefan Brotbeck im Philosophicum (Foto: Martin Töngi)

 

Ein ausgezeichnetes Interview mit dem Philosophen Stefan Brotbeck in der BZ. Die Idee des Grundeinkommens fällt dabei wie ein reifer Apfel vom Baum:

Wir brauchen mehr Musse, um nicht zu verblöden

 

Ausschnitt:

Wir haben leider keine Mussekultur, denn Musse ist für uns nur Freizeit. Und Freizeit ist nichts anderes als ein Anhängsel zur Arbeitszeit; sie ist rechtlich geregelt, fast wie eine Krankheit. Das zeigt, dass wir die Musse noch gar nicht verstanden haben. Sie ist kein Lazarett, wo man sich kurz als Bettlägriger erholt, um dann wieder an die Front zu gehen.

Was ist denn Musse? Und warum gehts nicht ohne sie?

Schöpferische Musse ist Zeit der Freiheit, Zeit für die Vermenschlichung des Menschen. Eine der grössten Gefahren sehe ich darin, dass uns die Zukunft nur noch als Leerraum erscheint, den wir vollstopfen. Deshalb müssen wir eine neue Mussekultur entwickeln. Sonst führen wir unser Leben im Erledigungsmodus, in dem Zukunft nur noch nicht Passiertes ist, aber nichts Überraschendes bereithält. Wir werden zu einem Zeit-Wurm, der sich in die Zukunft hineinfrisst und alles Vor-uns (Agenda) fortlaufend in ein Hinter-uns (ad acta) übersetzt. Das kennt man auch aus Stresssituationen: Wir erstellen eine lange Liste mit Aufgaben, die wir nach und nach abhaken. Wir können aber nicht unser Leben erledigen. Das Erledigen ist ein Teil des Lebens, nicht das Leben selbst.

Wie können wir Musse lernen?

Wir müssen erkennen, dass Agenden und To-Do-Listen gute Diener sind, aber schlechte Herren. Sie sollten uns die Stirn frei halten für Wichtigeres, darum schreiben wir sie auf. Weiterführende Gedanken können jedoch nur entstehen, wenn ich sie nicht schon als Liste auf der Agenda habe. Das kennt man auch aus der Kreativitätsforschung: Die meisten guten Ideen kommen dann, wenn sie gerade nicht geplant sind. Wir sind nicht nur dann wirksam, wenn wir einer Erwerbsarbeit nachkommen. Das ist ein Denkfehler. In sogenannten Mussemomenten sind wir häufig tätiger als in der Arbeitswelt.

Wer die Musse pflegt, gilt aber hierzulande schnell als faul.

Ja, Musse ist der letzte Restposten, gilt als Zeit verplempern. Dabei ist es umgekehrt: Ohne Musse verarmen wir geistig und menschlich. Es sollte unsere Pflicht sein, uns viel Musse einzuräumen, weil wir sonst verblöden. Es ist bekannt, dass es für die geistige Entwicklung von Kindern nichts Wichtigeres gibt als das freie Spiel. Der Mensch bleibt ohne Musse in der Routine stecken, bleibt nur noch das, was er ist. Bei den alten Griechen war Musse Ausdruck einer höchsten geistigen Kraft. Auch «Schule», die von diesem Begriff abstammt, ist eigentlich ein Ort der Musse.

 

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