«Schweiz ist ideal für Experimente mit dem Grundeinkommen»

Interview mit dem früheren griechische Finanzminister Yanis Varoufakis beim Tagesanzeiger/Der Bund. Er wirbt für das bedingungslose Grundeinkommen.

«Schweiz ist ideal für Experimente mit dem Grundeinkommen»

 

«Wann wird diese Entwicklung die Schweiz erfassen?
Das hat schon begonnen. Zuerst nimmt man die Entwicklung nicht wahr – und dann ist es schon zu spät. Die Robotisierung ist längst im Gange, Roboter kaufen aber keine Produkte. Deshalb braucht es ein Grundeinkommen, um diesen Wandel aufzufangen und eine Gesellschaft mit zunehmender Vermögensungleichheit zu stabilisieren.

Kürzlich ging ich an meinem freien Tag spätmorgens die Post holen, als mich mein Nachbar, ein Rentner, im Treppenhaus zur Rede stellte: «Was ist denn mit Ihnen los, sind Sie arbeitslos?» Dem Schweizer sind doch Ideen wie das Grundeinkommen suspekt?
Das bedingungslose Grundeinkommen fördert weder die Arbeitslosigkeit, noch hat es etwas damit zu tun, dass Leute zu Hause herumsitzen und nichts tun. In der Schweiz haben meines Wissens in einer repräsentativen Umfrage nur 2 Prozent gesagt, sie würden aufhören zu arbeiten. Selbst wenn es etwas mehr wären: Das Grundeinkommen macht nicht faul. Die Experimente, die zu diesem Thema gemacht wurden, etwa in Kanada in den 70ern, haben das belegt. Oder würden Sie aufhören zu arbeiten?

Economiesuisse, der einflussreiche Wirtschaftsdachverband, warnt, dass viele Schweizer zwei, drei Gänge zurückschalten und sich dem «Dolcefarniente» zuwenden würden. Ist das nicht einleuchtend?
Nun, das ist für Economiesuisse leicht zu sagen. Es ist nur schade, dass der Wirtschaftsverband so ein negatives Menschenbild von den Schweizern hat. Und offenbar hat Economiesuisse kein Problem damit, wenn sich beispielsweise Kinder reicher Fabrikanten und Manager dank ihres ererbten Vermögens dem «Dolcefarniente» zuwenden. Sie arbeiten nicht, um zu überleben, sondern um sich selbst zu verwirklichen. Zum Beispiel, indem sie sich in Stiftungen engagieren, Projekten nachgehen oder sich an erstklassigen Schulen weiterbilden. Warum sollte man Kindern aus weniger privilegierten Verhältnissen nicht einen Bruchteil dieser Chancen ermöglichen? Weniger Konkurrenzkampf und Existenzangst wird die Menschen kreativer machen und so neuen Wohlstand schaffen.

Und am Schluss herrscht Frieden auf Erden – ist nicht bereits der Sozialismus damit gescheitert?
Nein, das Grundeinkommen ist das grösste Unternehmensgründungs-Förderprogramm, das man schaffen kann. Im Silicon Valley redet man schon von «Seed Money for Everybody» – also Startgeld für jeden. Man kann es auch «Chancengerechtigkeit» nennen, was das Grundeinkommen schafft. Und das ist übrigens ein urliberales Anliegen. Selbst Liberale müssten darum zustimmen. Ein Grundeinkommen gibt jedem die Möglichkeit, von seiner Freiheit mehr Gebrauch zu machen, Nein zu sagen – unabhängig von den finanziellen Konsequenzen, die eine Entscheidung hat. Es ist damit auch der wesentliche Baustein für eine soziale Marktwirtschaft der Zukunft.

Nicht alle Europäer sehen dies so pragmatisch, das zeigt der rasante Aufstieg der ausländerfeindlichen Parteien.
Das hat nichts mit den Flüchtlingen zu tun, der Grund ist ökonomisch bedingt. Und damit schliesst sich der Kreis zum Grundeinkommen: Die Angst vor den Flüchtlingen ist auch eine Angst vor dem eigenen sozialen Niedergang. Das Grundeinkommen nimmt diese Furcht und fördert damit auch die Solidarität.»

 

Yanis Varoufakis in Zürich

«Der griechische Wirtschaftswissenschaftler Yanis Varoufakis war von Januar bis Juli 2015 Finanzminister im Kabinett des griechischen Ministerpräsidenten Alexis Tsipras. Als solcher war er während der finanzpolitischen Krise für die Verhandlungen mit den Partnern der Eurozone zuständig. Zum Eklat kam es, als er erklärte, Griechenland werde keine weiteren Gehalts- und Rentenkürzungen akzeptieren. Am kommenden 4. Mai findet am Gottlieb-Duttweiler-Ins­titut (GDI) in Rüschlikon die Konferenz «Zukunft der Arbeit» statt. Neben Varoufakis werden dort Silicon-Valley-Unternehmer und Twitter-­Investor Albert Wenger, Gewerkschafter und Initianten des Volksbegehrens für ein bedingungsloses Grundeinkommen darüber diskutieren, warum das Silicon Valley und erzliberale US-Thinktanks ein solches im Unterschied zu den Gewerkschaften befürworten.»

 

 

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