Götz Werner über die Volksinitiative in der Schweiz, Feudalismus, Arbeitsteilung und Menschenrechte

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Götz Werner im Gespräch mit Enno Schmidt

 

Enno Schmidt: Herr Werner, wie geht es Ihnen, wenn Sie auf die laufende Volksinitiative für ein bedingungsloses Grundeinkommen in der Schweiz schauen?

Götz W. Werner: Ich begrüße die Initiative sehr und bin großer Hoffnung, dass dadurch in der Schweiz der gesellschaftliche Diskurs befeuert wird. Das ist der Punkt. Dass Menschen sich emotional stimuliert fühlen und sagen: „Ich begreife das zwar noch nicht ganz, das ist mir alles sehr neu, aber ich will mich damit beschäftigen.“ Und dass sie sich fragen: In welcher Gesellschaft wollen wir leben? Wie wollen wir die Sozialität weiterentwickeln? Je mehr Menschen diese Fragestellung zu ihrer persönlichen ergebnisoffenen Forschungsfrage machen, umso besser.

Schmidt: Das Besondere in der Schweiz ist, dass es dafür demokratische Instrumente gibt. Als erstes die Volksinitiative. Ist sie erfolgreich, findet die weitere Auseinandersetzung auf dem Hintergrund statt, dass mit ihr ernst gemacht wird in einer Volksabstimmung. 

Werner: Dadurch bekommt das eine gewisse Struktur, eine gewisse Form. Allerdings auch mit dem Risiko, dass es nicht zustande kommt. Zu Akquisiteuren, die Standorte für dm anmieten, sage ich gerne: „Wenn Sie mit dem Vermieter über ein Ladenlokal verhandeln, dann geht es nicht darum, dass er Ihnen ein Ja gibt, sondern, dass Sie sein Nein verhindern.“ Nehmen wir einmal an, die Initiative würde bei 80 Tausend Unterschriften schlapp machen. Dann heißt es: „Ach, sie haben gerade einmal 80 Tausend zusammenbekommen, so was Tolles kann es nicht sein.“ Das wäre wirklich schlecht. Das ist das Risiko, das man eingeht, wenn man auf eine Entscheidung drängt.

Schmidt: Dafür ist es in der Schweiz eine Staatsaffäre.

Werner: Von der Form her, ja. Aber ob das wirklich schon eine Staatsaffäre ist? Ich habe gerade erneut die Biografie von Gottlieb Duttweiler gelesen und gelernt, dass die Schweizer offenbar auch die Eigenschaft haben, Dinge einfach totzuschweigen.

Schmidt: Andererseits erlebe ich, dass die Diskussionskultur in der Schweiz sehr hoch ist.

Werner: Ja, sehr hoch, aber sie hat einen Punkt, an dem sie kippt.

Schmidt: Wie würde Gottlieb Duttweiler sich wohl zu der Idee des Grundeinkommens stellen?

Werner: Es würde mich wahnsinnig wundern, wenn er nicht ein glühender Verfechter des Grundeinkommens wäre. Es gibt für Einzelhändler zwei Gründe dafür. Der erste: Das Grundeinkommen ist notwendig, damit die Menschen leben können. Als Einzelhändler kann ich nur tätig sein, wenn die Menschen ein Einkommen haben, mit dem sie etwas einkaufen können. Wenn die Leute kein Geld mehr in der Tasche haben – wie jetzt in Griechenland –  kommt alles zum Erliegen. Aus den bisherigen Wirtschaftskrisen hat man gelernt. Deswegen wird nun so viel Geld in Umlauf gebracht. Aber das Geld kommt nicht zu den Verbrauchern! Das Geld schwirrt um den Globus, und es wird allerlei Blödsinn damit gemacht. Investoren kaufen auf der ganzen Welt Grund und Boden auf. Das Geld muss aber in die Hände der Menschen kommen, damit sie einkaufen können. Die Nachfrage wird vom Verbraucher ausgelöst.

Schmidt: Was ist der zweite Grund?

Werner: Die soziale Gerechtigkeit. Duttweiler hatte ein starkes Gerechtigkeitsgefühl. Er war immer ein Freund des kleinen Mannes.

Schmidt: Und ein dritter Grund? 

Werner: Freiheit ist maßgeblich.

Schmidt: Beim Unterschriften sammeln sagen mir die Leute manchmal, das Grundeinkommen sei doch eine Sache aus Deutschland von diesem Unternehmer Götz Werner. Was würden Sie sagen, woher kommt die Idee?

Werner: Das Urbild des Grundeinkommens ist das Gleichnis von den Arbeitern im Weinberg im Neuen Testament. Sie können auch Thomas Paine nennen, wie Sie es in Ihrem Film getan haben. In letzter Zeit zitiere ich oft Friedrich Schiller, Augustenburger Briefe: „Der Mensch ist noch sehr wenig, wenn er warm wohnt und sich satt gegessen hat, aber er muss warm wohnen und satt zu essen haben, wenn sich die bessre Natur in ihm regen soll.“ Davon kann man überleiten und sagen: Wenn der Mensch sich in seiner Existenz bedroht fühlt, dann wird er nach Goethes Faust „tierischer als ein Tier“.

Schmidt: Darüber herrscht heute Einverständnis, dass jeder Mensch zu wohnen und zu essen haben soll. Der Punkt sind die Bedingungen. 

Werner: Das eine Problem, das zu den Bedingungen führt, ist, dass viele von ihren Mitmenschen ein Tierbild haben. Dass sie meinen, wenn kein Anreiz besteht, dann machen die Leute nichts. Und ein anderes Problem ist, dass die meisten Menschen in Wirklichkeit verkappte Feudalisten sind.

Schmidt: Verkappte Feudalisten?

Werner: Ja, zu denken, man wäre mehr wert als der andere, man wäre höherstehend als der andere. Sich über den anderen zu erheben, das ist Feudalismus.

Schmidt: Zum Feudalismus gehört auch die Gnadenhaltung. 

Werner: Ja, man ist zwar mildtätig, aber eigentlich betrachtet man die anderen Menschen als die Bewohner eines Zoos.

Schmidt: Von einer Gleichheit der Menschen wird allgemein gesprochen. Aber es ist ein Entwicklungsweg, das auch wirklich in sich so zu erleben. 

Werner: Das ist das Augenhöhe-Prinzip. Davon sind wir aber noch meilenweit entfernt. Obwohl sich dieses Prinzip in der Arbeitsteilung aufdrängt. In einer arbeitsteiligen Welt müsste man, wenn man konsumiert, stets Dankeschön sagen. Und wenn man produziert, müsste man ständig sagen: Bitteschön. Man kann nicht arbeitsteilig zusammenarbeiten und denken: Der andere ist ein Idiot, ich bin ja viel schlauer, der andere hat sowieso nichts zu sagen und der spielt keine Rolle. Wenn man genau hinschaut, stellt man fest: Es gibt keinen Arbeitsschritt, der nicht unverzichtbar ist.

Schmidt: Gleiche Augenhöhe, das finden theoretisch alle gut. Aber wie kommt man dahin, das wirklich so zu empfinden?

Werner: Dahin kommt man, wenn man merkt, dass man auf seine Mitmenschen angewiesen ist; dass uns sozusagen die Weltentwicklung in dieses arbeitsteilige Geschehen geführt hat. Dann merken wir, dass uns nicht egal sein kann, was zum Beispiel jetzt gerade in Mali passiert. Die weltweite Arbeitsteilung bringt uns aufgrund der Faktizität dieses Phänomens zu der Einsicht, dass wir alle gegenseitig auf uns angewiesen sind.

Schmidt: Das wäre eine Bewusstseinsleistung. Man kann die weltweite Arbeitsteilung auch einfach für seinen Vorteil nutzen und nicht darüber hinausgucken. Was habe ich mit dem Elend anderer zu tun? Die sind doch weit weg.

Werner: Wir sind erst am Anfang der Bewusstseinsseelenentwicklung. Die Arbeitsteilung ist noch keine Bewusstseinsleistung, sondern die Rahmenbedingung, an der sich unsere Bewusstseinsleistung aufraffen kann. Die Arbeitsteilung ist eine Faktizität. Jetzt müssen wir uns noch aufraffen.

Schmidt: Wäre das Grundeinkommen auch eine Faktizität, eine Rahmenbedingung? 

Werner: Nein, das Grundeinkommen ist die Methode, um die Verhältnisse zu verändern, um Einsichten, die man gewonnen hat, weiter zu entwickeln. Das ist keine Faktizität. Die Arbeitsteilung ist uns faktisch geschenkt worden. Das Grundeinkommen ist uns nicht geschenkt. Das müssen wir schaffen. Das ist der Punkt.

Schmidt: Ist das Grundeinkommen ein Menschenrecht?

Werner: Ja. Oder andersrum: Die Würde des Menschen ist unantastbar. Das ist ein Menschenrecht, weil wir es heute anerkennen. Das ist ja neu. Das war früher nicht so. Vor 100 Jahren hat man auch noch gesagt: „Frauen dürfen nicht wählen, weil sie nicht denken können.“ Jetzt sind wir so weit, dass es verfassungsrechtlich verankert ist, dass die Würde des Menschen unantastbar ist. Aber gelebt wird es noch nicht. Das liegt am Feudalismus, der noch nachklingt. Wenn der Artikel 1 der Verfassung von allen anerkannt würde, dann hätte es nie zu Hartz IV kommen können. Aber noch nicht einmal die Verfassungsrichter sind so weit, dass sie sagen: „Hartz IV ist mit Artikel 1 unvereinbar.“

Schmidt: Die sozialen Sicherungen haben heute noch nicht den Charakter eines Grundrechtes, sondern eher den einer Versicherungsleistung, die unter bestimmten Bedingungen greift, und die Bedingungen stellt. Zum Beispiel heißt es: wir helfen Menschen, die unverschuldet in Not geraten sind. Das ist ein Rest der Gnadenhaltung, die sich den Armen zuwendet, sofern sie frei von Sünde sind. Und man muss sich als Sozialhilfeempfänger beugen, Besserung geloben und gehorchen. Der Gedanke des Rechtes ist eben noch gar nicht wirklich darin. 

Werner: Der ist deswegen nicht darin, weil der Verfassungsartikel 1 nicht beherzigt wird. Dann wäre es nämlich egal, ob jemand verschuldet oder unverschuldet ein solches Einkommen in Anspruch nimmt. Egal aus welchen Gründen. Weil er ein Mensch ist, deswegen hat er Anspruch, dass er bescheiden aber menschenwürdig im Sinne des Artikel 1 unserer Verfassung leben kann.

Schmidt: Dann würde dazugehören, dass jemand die Dinge tun kann, die er für wichtig hält, und sie ihm nicht verboten werden können, weil er damit kein Geld verdient. Das aber ist heute bei den Sozialleistungen der Fall. Sie sind nur als Überbrückung gemeint, bis jemand wieder Geld verdient. Er muss dann jede Arbeit annehmen, die etwas Geld bringt. Sein Tun und Leben selbst zu bestimmen zählt heute noch nicht zur Würde des Menschen. Das darf man nur, wenn man dafür einen Käufer oder Mäzen findet. Das ist also kein Grundrecht.

Werner: Weil Hartz IV den Artikel 12 unserer Verfassung – Zwangsarbeit ist verboten – ausblendet. Wie auch die freie Wohnungswahl.

Schmidt: Freie Berufswahl. Freie Entfaltung der Persönlichkeit.

Werner: Hartz VI setzt mindestens vier Verfassungsprinzipien außer Kraft, ohne dass das Verfassungsgericht einschreitet! Das ist ein Zeichen dafür, dass noch nicht einmal die Verfassungsrichter in ihrem Bewusstsein so weit sind, das für sich für wahr zu nehmen.

Schmidt: All das ist eine Frage der Bewusstseinsentwicklung? 

Werner: Die Menschenwürde ist bislang in den Verfassungen nur plakativ durchgesetzt, aber noch nicht im Bewusstsein. Das wird in 20 Jahren anders sein.

Stand: Januar 2013
Quelle: Unternimm die Zukunft

Comments

  1. Ich bin mir nicht so sicher, ob die Arbeitsteilung tatsächlich ein Geschenk war.
    Gerade geteilte Arbeit kann sehr unbefriedigend sein.

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